Pflegende Angehörige im BGM wirksam unterstützen

Beschäftigte, die zu Hause Angehörige pflegen, leisten einen unschätzbaren Beitrag zur Versorgung hilfsbedürftiger Menschen – und das unter enormer körperlicher und psychischer Belastung. Mit gezielter betrieblicher Gesundheitsförderung können Unternehmen diese Beschäftigten dabei unterstützen, gesund zu bleiben und damit ihre Leistungsfähigkeit zu erhalten.
Die allermeisten Pflegebedürftigen wünschen sich, zu Hause gepflegt zu werden. (Foto: Pexels)
Immer mehr pflegende Angehörige in Deutschland

Ohne Menschen, die Angehörige, Nachbar:innen oder Freund:innen neben dem Beruf pflegen, wäre die pflegerische Versorgung in Deutschland schon lange undenkbar.1 Rund 2,5 Millionen Beschäftigte pflegen neben dem Beruf Angehörige zu Hause.2 Neben der Pflege in einer Pflegeeinrichtung gilt die häusliche Pflege von Menschen durch Angehörige, Nachbar:innen oder Freunde als Rückgrat der pflegerischen Versorgung. Die allermeisten Pflegebedürftigen wünschen sich zudem, in den eigenen vier Wänden gepflegt zu werden. Das dem auch im Alltag entsprochen wird, zeigt die Pflegestatistik  Während im Jahr 2009 noch etwa 69 Prozent der Pflegebedürftigen zu Hause gepflegt wurden, waren es in 2023 bereits über 86 Prozent – mit steigender Tendenz.3

2,5
Mio.
Beschäftigte pflegen Angehörige neben dem Beruf.
86
%
aller Pflegebedürftigen werden zuhause versorgt.
Angehörige pflegen und Erwerbstätigkeit: Die große Doppelbelastung

Für Beschäftigte bedeutet die Pflege von Angehörigen eine enorme Doppel- oder Mehrfachbelastung. Oft gerät ihr eigenes Leben in den Hintergrund – und damit auch die eigenen Bedürfnisse. Für knapp 20 Prozent der Menschen in Deutschland ist die Pflege von Angehörigen einer der Hauptgründe für Stress.4 Die Überforderung, die Pflege mit Beruf, der eigenen Familie und Freizeit zu vereinbaren, kann zu gesundheitlichen Problemen führen – von Verspannungen, Rücken- und Gelenkschmerzen über Magen- und Darmbeschwerden bis hin zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Auch die Psyche leidet, was zu Schlafstörungen, Nervosität, Niedergeschlagenheit, Stimmungsschwankungen, Hilflosigkeit, Ängsten und Depressionen führen kann.5 Die zeitintensive Pflege kann dazu führen, dass Beschäftigte soziale Kontakte und Hobbys vernachlässigen.

 

Die häusliche Pflege wirkt sich auch finanziell auf die Pflegenden aus. Es gibt schätzungsweise 1,5 Millionen Angehörige im erwerbsfähigen Alter, die mehr als zehn Stunden pro Woche pflegen. Die Teilzeitquote ist bei ihnen doppelt so hoch wie in der Gesamtbevölkerung. Mit der Übernahme der Pflege geht also die Erwerbstätigkeit zurück. Gerade pflegende Eltern verzichten häufig jahrelang auf ein Einkommen, um ihr Kind zu pflegen. Unter den pflegenden An- und Zugehörigen ist jede und jeder Vierte armutsgefährdet, in der Gesamtbevölkerung ist es nur jeder Sechste.6

 

Aber: Unternehmen können dafür sorgen, dass pflegende Angehörige mit all den Herausforderungen nicht alleine gelassen werden.

Eine kostenlose Pflegeberatung kann Beschäftigte über Unterstützungsangebote informieren (Foto: Pavel Danilyuk)
Pflegende Angehörige informieren und beraten

Plötzlich einen Angehörigen pflegen zu müssen, stellt Beschäftigte anfangs vor viele Fragen. Wie kann ich mir Unterstützung holen? Kann man finanzielle Unterstützung für die Pflege erhalten? Wo bekomme ich technische Hilfsmittel wie Aufstehhilfe, Pflegebett oder Rollstuhl her? Da ist es wichtig, dass Sie Ihre Beschäftigten über unterstützende Angebote informieren und beraten – entweder über persönliche Gespräche, Vorträge oder kostenfreies Infomaterial. Einige BKK-Pflegekassen bieten Beschäftigten eine kostenlose Pflegeberatung, meist über externe Expert:innen an. Beschäftigte und deren Angehörige können sich telefonisch oder zu Hause beraten lassen.

 

Je nach Pflegegrad der Angehörigen erhalten Beschäftigte für die alltägliche Pflege Hilfen, die von der Pflegeversicherung finanziert werden – zum Beispiel einen Pflegedienst, Tages- und Nachtpflege, Verhinderungspflege oder finanzielle Mittel für die Unterstützung im Alltag – etwa eine Haushaltshilfe oder den barrierefreien Umbau der Wohnung. Psychologische Beratung im Betrieb kann Beschäftigten zusätzlich helfen, besser mit der Pflegesituation zu Hause umzugehen.

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Broschüre: „Beruf und Pflege vereinbaren“

Wie kann ein Berufsalltag mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gelingen, die zusätzlich Pflegeverantwortung tragen? Was können beide Seiten – Unternehmen und Beschäftigte – zum Erfolg beitragen? Mit seiner Broschüre bietet die Unfallkasse NRW eine umfangreiche Handlungshilfe für Unternehmen, BGM-Verantwortliche und Pflegeberater:innen, um pflegende Angehörige zu unterstützen.
Flexible Arbeitszeitmodelle anbieten

Pflege richtet sich nicht nach festen Zeiten. Mal bleiben die Angehörigen die halbe Nacht wach, mal steht mitten am Tag ein Arzttermin an. In Teil- oder Gleitzeit sowie im Homeoffice flexibel arbeiten zu können, entlastet Beschäftigte im Alltag enorm. Solche Modelle erleichtern es ihnen, Pflegezeiten besser mit der Arbeit zu vereinbaren. Helfen kann außerdem, die Belastung von pflegenden Angehörigen zu reduzieren oder Sonderurlaube für sie einzuführen. Einige Unterstützungsangebote sind dabei gesetzlich verankert. Der Staat gewährt Beschäftigten je nach Pflegesituation eine Auszeit vom regulären Arbeitsverhältnis.5 Dazu gehören:

 

  • Kurzzeitige Arbeitsverhinderung: Beschäftigte haben Anspruch auf bis zu zehn Tage Urlaub im Jahr, wenn ein naher Angehöriger plötzlich pflegebedürftig wird oder sich die Pflegesituation akut verändert. Die sogenannte kurzzeitige Arbeitsverhinderung gibt ihnen Zeit, die neue Situation zu organisieren. Während der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung haben sie Anspruch auf ein Pflegeunterstützungsgeld.

 

  • Pflegezeit: Wenn sich Beschäftigte um einen Angehörigen aus dem engeren Familienkreis kümmern möchten, können sie sich bis zu sechs Monate unentgeltlich von ihrer regulären Arbeit freistellen lassen – vollständig oder teilweise. Das gilt für Unternehmen mit mehr als 15 Beschäftigten. Die Auszeit muss mindestens 10 Arbeitstage vorher angekündigt werden.

 

  • Familienpflegezeit: Beschäftigte können bis zu 24 Monate lang ihre Arbeitszeit auf mindestens 15 Arbeitsstunden reduzieren, um einen nahen Angehörigen zu pflegen. Der Betrieb muss dabei mehr als 25 Beschäftigte haben. Die Ankündigungsfrist beträgt 8 Wochen und es muss mindestens Pflegegrad 1 vorliegen.

 

  • Begleitung der letzten Lebensphase: Für diese schwere Zeit können sich Beschäftigte eine dreimonatige Auszeit nehmen – oder sich teilweise freistellen lassen. Das gilt für Unternehmen mit mehr als 15 Beschäftigten. Die Auszeit muss mindestens 10 Arbeitstage vorher angekündigt werden.

 

Zudem können Angehörige ein zinsloses Darlehen beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) beantragen bei Pflegezeit, Familienpflegezeit und Begleitung in der letzten Lebensphase.5

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Die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, kann pflegende Angehörige enorm entlasten. (Foto: Olia Danilevich)
Die Gesundheit von pflegenden Angehörigen fördern

Pflegen ist körperlich und psychisch belastend. Als Unternehmen können Sie hier ansetzen und die Gesundheit ihrer Beschäftigten mit gezielten Maßnahmen unterstützen. Der Vorteil: Maßnahmen, die sie für alle Mitarbeitenden anbieten, helfen gleichzeitig auch jenen, die Angehörige pflegen. Die Möglichkeiten sind vielfältig:

 

 

  • Yoga und Nordic Walking

 

  • Ernährungsberatung für eine ausgewogene Ernährung trotz Zeitdruck

 

  • Entspannungstechniken vermitteln, um die psychische Resilienz zu stärken – etwa durch Meditation, Achtsamkeit der progressive Muskelentspannung

 

  • Stress- und Zeitmanagement-Kurse

 

  • u.v.m.

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Praktische Pflegeschulungen organisieren

Beschäftigte, die Angehörige zu Hause pflegen, können finanzielle Unterstützung vom Staat erhalten. Der Umfang hängt vom Pflegegrad des Angehörigen ab. Je nach Fall bekommen Angehörige Geld für medizinische Hilfsmittel und Pflegehilfsmittel. Dazu gehören etwa Pflegebett, Zuschüsse zu einem Hausnotrufsystem und eine Pauschalförderung für Verbrauchshilfsmittel (Windeln, Inkontinenzartikel, Einweghandschuhe usw.). Je nach Pflegegrad übernimmt der Staat auch die Transportkosten. Zudem können Angehörige ein zinsloses Darlehen beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) beantragen.5


Unternehmen können pflegende Angehörige praktisch unterstützen. Einige BKK-Pflegekassen bieten pflegenden Angehörigen etwa kostenlose Online-Pflegekurse und Pflegeschulungen rund um das Thema Pflege an, die auch vor Ort im häuslichen Umfeld stattfinden. Die Pflegeschulung vermittelt – passend auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnitten – Wissen für den Pflegealltag. Dazu gehören Kenntnisse rund um die Pflege, wie man jemanden zum Gehen animiert, vom Sessel in den Rollstuhl umsetzt oder im Bett dreht. Auch Schulungen rund um die hauswirtschaftliche Versorgung, Ernährung und finanzielle Fragen sind möglich. Angehörige erfahren zudem, wie sie mit körperlichen und seelischen Belastungen der Pflege umgehen können. Viele Krankenkassen bieten zudem Spezialkurse für Erkrankungen wie Parkinson, Demenz oder Schlaganfall an.

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In Pflegeschulungen lernen Beschäftigte alles, was sie für den Pflegealltag brauchen. (Foto: Fauxels)
Erfolgsfaktoren für die Unterstützung pflegender Angehöriger

Erfolgreiche BGF-Maßnahmen für pflegende Angehörige erfordern eine genaue Bedarfserhebung, um passgenaue Angebote zu schaffen, die auf Freiwilligkeit und Vertraulichkeit basieren und leicht in den Arbeitsalltag integrierbar sind. Zudem ist eine nachhaltige Verankerung im Unternehmen wichtig. Führungskräfte spielen dabei eine bedeutende Rolle. Sind sie für die Belastungen von pflegenden Angehörigen sensibilisiert, können sie aktiv in den Dialog gehen, um individuelle Lösungen im Team zu finden. Genauso bleibt es aber wichtig, Betroffene aktiv einzubinden. Kooperationen mit externen Expert:innen können die Qualität der Betreuung steigern, während eine offene Kommunikation die Akzeptanz und Nutzung der Angebote fördert.

Fazit

Pflegende Angehörige sind wertvoll für Unternehmen. Ihre Doppelbelastung erfordert aber eine besondere Aufmerksamkeit im Rahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung. Durch gezielte und bedarfsgerechte BGF-Ansätze können Unternehmen die Gesundheit, das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit dieser wichtigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nachhaltig fördern. Dies ist nicht nur ein Zeichen der Wertschätzung, sondern auch eine Investition in die Zukunft des Unternehmens. Es gilt, eine Unternehmenskultur zu schaffen, die die besonderen Bedürfnisse pflegender Angehöriger anerkennt und ihnen die notwendige Unterstützung zukommen lässt.

1
BKK Dachverband e.V. (2024): Hintergrundpapier Pflegende Angehörige
2
BMFSFJ (2020): Akuthilfe für pflegende Angehörige beschlossen
3
Destatis (2024): 5,7 Millionen Pflegebedürftige zum Jahresende 2023
4
MDR (2024): 61 Prozent der Arbeitnehmer fürchten ein Burnout
5
Pflegeberatung.de: Entlastung für Pflegende
6
DIW Berlin (Hrsg. 2022); Verteilungswirkungen von finanziellen Unterstützungsmodellen für pflegende Angehörige; In Politikberatung kompakt 186